CSD Freiburg

Positionspapier 2015

CSD-Freiburg UNITED 2015

Zusammen gegen Trans- und Homofeindlichkeit.
Diskriminierung stoppen. Ausgrenzung beenden. Gewalt verhindern. Liebe leben.

Die Aufstände in der Christopher Street 1969 sind ein Symbol für die Versuche Homo- und Transsexueller sich gegen die staatliche Unterdrückung ihres (Liebes)Lebens zur Wehr zu setzen. Die Auseinandersetzungen stellen eine Art Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung des Widerstands gegen heteronorme Machtverhältnisse dar – Machtverhältnisse die in der Verfolgung und Ermordung Homosexueller eine historische Kontinuität haben.

In Deutschland gipfelte diese im Nationalsozialismus, wo die Verschärfung des §175 dazu führte, dass tausende Homosexuelle in Konzentrationslager verschleppt wurden und damit dem Naziterror zum Opfer fielen (1). Seither wurde viel erkämpft, der §175 der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte wurde 1994 endlich endgültig abgeschafft (2). Und obwohl Homo-, Bi-, Inter- und Transsexuelle und Transgender* in Deutschland nicht mehr verfolgt werden, kann von einer wirklichen Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen keine Rede sein. Von staatlicher Seite wird noch immer diskriminiert, was nicht der Heteronorm entspricht.

So werden homosexuelle Paare rechtlich anders behandelt und sie haben nicht in gleichem Maße das Recht Kinder zu adoptieren wie heterosexuelle. Transsexualität ist per Transsexuellengesetz und im ICD10 (3) immer noch als psychische Krankheit definiert (4). Transsexuelle Menschen und Transgender*-Personen gelten entgegen ihrer Selbstdefinition als „geschlechtsidentitätsgestörte Frau oder Mann“ und damit als kranke, behandlungsbedürftige Menschen. Ihnen wird also vom Staat nicht zugestanden, ihre Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen, auch außerhalb des binären Geschlechtsverständnisses.
Aber nicht nur von Seiten des Staates gibt es in Deutschland Handlungsbedarf.

Die immer noch hitzig geführte Debatte um den Bildungsplan in Baden-Württtemberg zeigt, wie rechtes Gedankengut gepaart mit religiösem Fanatismus dazu führen, dass Menschenfeindlichkeit und Antihomohetze wieder einen Nährboden finden. Dass die Selbstmordrate von homosexuellen Jugendlichen bis zu siebenmal höher ist als bei anderen Gleichaltrigen (5) (6) wird kaum registriert oder wird gar als Beleg für deren Problematik angesehen. Vielmehr propagieren rechte und rechtspopulistische Gruppen, religiöse und sogenannte konservative Bürger*innen den Untergang der Menschheit, weil laut neuem Bildungsplan künftig in Schulen vermittelt werden sollte, dass es mehr gibt als Mann und Frau und die Liebe in der Hetero“normalität”.

In allen gesellschaftlichen Bereichen werden wir damit konfrontiert, dass es normal sei heterosexuell zu sein, inklusive einem Wust sexistischer Rollenbilder die Mann und Frau zu erfüllen haben. Diese Themen betreffen alleine in Deutschland hunderttausende Menschen. Umfragen zufolge wagt es aber gerade einmal jede*r vierte Homosexuelle sich zu outen (7). Das heißt, dass es nur ein Bruchteil der Menschen schafft, ihre Sexualität oder Liebe zu leben und die überwiegende Mehrheit von Homosexuellen ein unerträgliches Versteckspiel oder Doppelleben führen muss, was für den Profifußball ebenso gilt wie für alle anderen Lebensbereiche. Bei transsexuellen Menschen liegt die Dunkelziffer derer die versteckt leben noch höher. So führt gerade die Angst vor Ausgrenzung und Gewalt dazu, dass es kaum möglich ist, die Anzahl der “sexuell anderen” realistisch zu benennen. Sicher ist, dass es Homo-, Bi-, Inter-, Transsexuelle, Transgender* und queere Identitäten schon immer gab und auch künftig in allen Gesellschaften und Kulturen geben wird.

Menschen zu verfolgen und sie durch religiösen oder staatlichen Eifer zu ermorden oder zu unterdrücken, zementiert Machtstrukturen, die alle Menschen am Leben hindern, die die Norm der Heterosexualität nicht erfüllen. Homo- und Transsexuelle müssen fliehen und ihre Familien verlassen, weil es noch immer Staaten gibt, in denen ihnen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Todesstrafe droht. Diese Dramatik wird dadurch noch verschärft, indem Länder wie Deutschland mit genau solchen Regierungen beziehungsweise Regimen zusammenarbeiten und im diplomatischen Eiertanz keine klaren Worte finden. Und die Gesetzeslage gegen sogenannte sexuelle Minderheiten verschärft sich weiter, wie beispielsweise in vielen afrikanischen Staaten (8) (9) oder auch in Indien (10) und Russland (11).

Staatliche Verfolgung und religiöse Hetze sind Wasser auf die Mühlen von reaktionären, rechtsextremen und konservativen Kräften, was dazu führt, dass zum Beispiel im Jahr 2014 in Russland Neonazis Kopfprämien für die Ermordung von Homosexuellen zahlen. In vielen Ländern werden Webseiten gesperrt in denen das Wort “GAY” auftaucht (12). Die großen Religionsgemeinschaften treiben Homophobie und die Ausgrenzung von Homosexuellen weltweit voran. Die psychischen und physischen Folgen für die Betroffenen sind katastrophal. Es stimmt, dass in den vergangenen Jahrzehnten viel erkämpft wurde und es positive Entwicklungen für sogenannte sexuelle Minderheiten gab; und trotzdem sind die derzeitigen Zustände in Deutschland nicht akzeptabel. Weltweit sind sie unerträglich.

Der Christopher Street Day ist ein Gedenk- und Festtag an dem wir auf die Straßen gehen. Ein Tag, an dem wir unser Leben in die Öffentlichkeit tragen. Ein Tag, an dem wir Gleichberechtigung für ALLE fordern. Ein Tag von 365 Tagen im Jahr. Der CSD ist ein Tag, an dem wir aller Opfern von Homofeindlichkeit und Sexismus gedenken. Ein Tag, an dem wir feiern und an dem wir kämpfen; für eine Welt in der Ausgrenzung und Diskriminierung keinen Platz mehr haben. Wir haben genug von politischen Sonntagsreden und falscher Toleranz. Wir fordern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit LSBTTIQ-Themen auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen. Mit der CSD-Demonstration bzw. Kundgebung in Freiburg verleihen wir unseren Forderungen auch im Süden Deutschlands Nachdruck.

Gegen Diskriminierung, Pathologisierung und Gewalt!!!

– Wir fordern eine Offenlegung und das Ende jeglicher Gewaltanwendungen gegen Menschen aufgrund von deren Abweichung von der Heteronorm. Damit verbinden wir auch das konsequente Vorgehen gegen nationalistische, rechtsextreme und religiöse Propaganda.
– Wir fordern die Unterstützung von Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Ausprägung oder ihrer sexuellen Neigung fliehen mussten; Bleiberecht für alle und das Ende der Residenzpflicht für Flüchtlinge.
– Wir fordern ein sofortiges Ende der Lohndiskriminierung von Frauen in Deutschland inklusive der Verbreitung sexistischer Rollenbilder und patriarchaler Machtstrukturen.
– Wir fordern die sofortige und ersatzlose Streichung der Kategorie “Geschlechtsidentitätsstörung” aus dem gängigen Krankheitskatalog ICD und somit ein sofortiges Ende der Transpathologisierung in Deutschland.
– Wir fordern die sofortige Rehabilitierung und Entschädigung aller nach §175 Verurteilter.
– Wir fordern die völlige Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften, inklusive des vollen Adoptionsrechts.
– Wir fordern die Anpassung der Bildungspläne an queere Lebensrealitäten, frei von religiös dominierten, heteronormen und sexistisch geprägten Machtvorstellungen.
– Wir setzen uns ein für einen gemeinsamen Kampf für die Rechte ALLER, unabhängig von sozialer, kultureller oder geografischer Herkunft, Fähigkeiten, körperlicher Ausprägung oder sexueller Orientierung.
– Wir wünschen uns mehr Solidarität innerhalb emanzipatorischer sozialer Bewegungen, weil Diskriminierungsformen miteinander verschränkt sind.

Gegen „Straightacting“, „Homonorm“, Mehrfachdiskriminierung und Anonymisierung!!!

In diesem Jahr richten sich unsere Forderungen nicht mehr nur an die Politik und die heteronorme Gesellschaft, sondern auch an die queere bzw. die Gayszene:
– Wir fordern von den verschiedenen Szenen sexueller Vielfalt, sich als Gemeinschaft zu begreifen. Der Kampf der Lesben ist der Kampf der Schwulen. Schwule Interessen sind nicht losgelöst von Trans*themen zu sehen.
– Wir fordern alle Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle, Asexuelle und Queere auf die jeweiligen Belange mit Sensibilität zu betrachten und sich miteinander zu solidarisieren. Nur gemeinsam sind wir stark.
– Wir sprechen uns gegen das besonders in der schwulen Szene zunehmende „Straightacting“ aus. „Straightacting“ ist in unseren Augen eine Tendenz, die Menschen in die Heteronorm zurück drängt ganz nach dem Motto „bloß nicht aus der Norm zu fallen“. Menschen werden gedrängt, möglichst der Norm von Männlichkeit oder Weiblichkeit zu entsprechen. Genau deshalb lehnen wir „Straightacting“ ab.
– Wir ermutigen alle, mit ihrem Aussehen und ihrem Verhalten die Norm zu sprengen.
Lebt euer Leben und eure Gefühle und nicht die Norm.
– In diesem Kontext wenden wir uns auch gegen die Normen innerhalb der Szene bzw. die sogenannte „Homonorm“ insbesondere Körpernormen. Beispielsweise müssen Schwule nicht mit Waschbrettbauch, muskelbepackt, ganzkörperrasiert und solariumgebräunt sein. Es gibt mehr als das Muskelpaket, den Bären oder die Tunte. Wir wollen keine Normen oder Schönheitsideale, auch nicht innerhalb der LSBTTIQA-Szene.
– Wir fordern ein Ende von szene-interner Diskriminierung. Oft sind auch in szeneinternen sozialen Netzwerken Kommentare zu finden, die bezüglich der Körpernorm beleidigend oder rassistisch sind. Es ist völlig inakzeptabel, wenn Menschen beleidigt werden, weil sie angeblich zu klein, zu groß, zu dick oder zu dünn sind, weil sie dunkle oder helle Haut haben oder weil sie aus einem anderen geografischen oder sozialen Umfeld stammen. Bei vielen Menschen ist somit ihre sexuelle Orientierung nicht der einzige Grund, weshalb sie Ausgrenzung erfahren. Wir fordern deshalb alle auf, sich über Mehrfachdiskriminierung bewusst und dagegen aktiv zu werden.
– Virtuelle soziale Netzwerke haben die LSBTTIQ-Szene in den vergangenen Jahren stark verändert. Queeres Leben spielt sich zunehmend online ab, was auch dazu geführt hat, dass Kneipen, Bars, Clubs und Buchläden zunehmend weniger besucht werden. Die sozialen Netzwerke machen Dinge wie zum Beispiel Kontaktaufnahme einfacher, tragen aber gleichzeitig zur Vereinsamung und Anonymisierung bei. Sexuell ist fast alles möglich. Diese virtuelle Allgegenwart von Sex trägt aber auch dazu bei, dass Sexualität vom Rest des Lebens entkoppelt und damit abgespalten wird. Schnell verfügbarer anonymer Sex stehen in krassem Gegensatz dazu, zwar dutzende virtuelle aber keine realen Freund*innen mehr zu haben. Das offene und sichtbare queere Leben tritt zunehmend ins Unsichtbare. Dabei ist gerade unsere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit so wichtig um auch gesellschaftliche Akzeptanz weiter zu entwickeln. Gerade die Tatsache, dass sich queeres Leben wieder mehr im Verborgenen abspielt, führt möglicherweise auch dazu, dass Menschen, die ihre Liebe öffentlich leben, wieder vermehrt Angriffen ausgesetzt sind. Es darf nicht sein, dass Männer verprügelt werden wenn sie sich in der Öffentlichkeit küssen. Es darf nicht sein, dass Frauen die Hand in Hand gehen mit Pfiffen belegt werden. Es darf nicht sein, dass Menschen gejagt werden nur weil ihr Aussehen nicht der Norm entspricht.
– Wir fordern alle Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queere auf, wieder, und mehr denn je, sichtbar zu werden. Versteckt euch nicht und zieht euch nicht in virtuelle soziale Netzwerke zurück.
Zeigt eure Liebe und lebt euer Leben.
Unser Leben findet nicht nur online, im Verborgenen, an versteckten Ecken oder hinter verschlossenen Türen statt. Unser Leben ist genau so öffentlich oder privat wie das aller anderen Menschen.

In diesem Sinne sehen wir uns auf den Straßen und in allen anderen Bereichen des Lebens. Wir feiern zusammen, wir lachen, weinen, arbeiten, faulenzen, freuen uns und streiten miteinander.

WIR LEBEN WIE WIR WOLLEN UND WIR LIEBEN WEN WIR WOLLEN.

Deshalb rufen wir alle Menschen dazu auf, sich an den Veranstaltungen des CSD-Freiburg und insbesondere an der Demonstration am Samstag, den 18. Juli 2015 zu beteiligen.